Die Psychologie von M&A‑Prozessen
90% des M&A‑Prozesses sind reine Psychologie
Die Aussage, dass 90% des Prozesses eines Unternehmensverkaufs mit mittelständischen Unternehmern reine Psychologie ist, würde jeder M&A‑Berater, Leiter einer M&A‑Abteilung eines Konzerns oder Partner eines Private Equity Hauses unterschreiben.
Was soll das heißen? Und wenn das so ist – warum gibt es in keinem professionell geführten M&A‑Prozess hierfür entsprechende Ansätze, um dem „psychologischen“ gerecht zu werden?
Das SIU* ist seit über 20 Jahren Tätigkeit vorwiegend für mittelständische Unternehmer tätig und wir haben gesehen, dass es Prozessen der Unternehmensübergabe an professionelle Käufer immer „gemenschelt“ hat. Die Prozesse sind nie so gelaufen, wie es am Anfang geplant war. Und den M&A‑Prozess noch besser und detaillierter zu planen und zu strukturieren hat auch nicht verhindert, dass solche Verkaufsprozesse plötzlich eine völlig unerwartete Eigendynamik entwickelt haben. Und Extremfall kurz vor dem Notartermin abgebrochen wurden.
Herr Gerber will verkaufen
Um dieses Thema etwas anschaulicher zu machen, möchten wir die fiktive Figur von Herrn Gerber einführen. Er ist die Projektionsfläche für viele Hoffnungen, Ängste und Sorgen, die uns bei Mandanten begegnet sind. Es geht darum, etwas genauer zu verstehen, wie es Herrn Gerber geht, der in der Situation ist, sein Unternehmen zu verkaufen zu können.
Herr Gerber ist Anfang 60 und Gründer der Gerber GmbH, eines sehr erfolgreichen und technologisch führenden mittelständischen Unternehmens, das er in den letzten 30 Jahren mit viel Herzblut aufgebaut hat. Er ist stolz auf die Kultur in seinem Unternehmen – aber keines seiner Kinder möchte ihm nachfolgen. Die Banken haben ihn schon öfters angesprochen, ob er nicht einmal seine Nachfolge regeln möchte – aber im Moment genießt er das Unternehmerleben sehr und schiebt die Überlegungen, ob er vielleicht verkaufen sollte, jedes Jahr ein Jahr weiter nach hinten.
Völlig unerwartet wird Herr Gerber von einem Transaktionsberater angesprochen und gefragt, ob er sich vorstellen könnte, sein Unternehmen an die EQUITUS zu verkaufen – ein sehr erfolgreicher und angesehenes Finanzinvestor. Strategisch wäre dies ein sehr sinnvoller Schritt, um das weitere Wachstum und die Internationalisierung bankenunabhängig zu finanzieren. Die avisierte Bewertung der Unternehmensanteile würde es Herrn Gerber zudem erlauben, ausreichend Kapital hinter eine private Brandmauer zu bringen. Nachdem die EQUITUS bislang keine eigenen Aktivtäten in dieser Branche hat, könnte die Gerber GmbH die ideale Plattform für weitere Zukäufe sein und somit die zukünftige Entwicklung des Unternehmens und seiner Mitarbeiter sicherstellen.
Die Ausgangskonstellation, dass ein professioneller Käufer auf einen mittelständischen Gründerunternehmer trifft, der bislang keine persönlichen Erfahrungen mit dem Kauf oder Verkauf von Unternehmen gemacht hat, gibt es in vielen Varianten. Natürlich hat Herr Gerber eine Reihe von Geschichten von seinen Unternehmerfreunden gehört und weiß im Groben, wie ein solcher Prozess abläuft – aber richtig involviert ist er zum ersten Mal.
Das Unternehmen verkaufen – eine einsame Entscheidung
Unternehmer wie Herr Gerber stehen oft vor einsamen Entscheidungen. Vor allem, wenn sie als Gründer ein Unternehmen aufgebaut haben und über keine zweite Führungsebene verfügen, die sich als Nachfolger qualifizieren. Dann gibt es im Unternehmen oft keinen Sparringspartner für Entscheidungen, die weitreichend sind und für die es keine Erfahrungswerte gibt.
Für solche einsamen Entscheidungen gibt es viele Beispiele.
Personalanpassungen, Einstellung von Co-Geschäftsführern, Wachstumsinvestitionen mit privat hinterlegten Sicherheiten, Erhöhung von Gesellschafterdarlehen in der Krise oder Aufbau einer Auslandsfertigung. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen treffen den Unternehmer persönlich, im positiven wie im negativen – und können nicht an Mitarbeiter delegiert werden.
Eine der zentralsten einsamen Entscheidungen ist sicher die Frage nach dem Verkauf des Unternehmens. Jeder Unternehmer spielt und kokettiert immer mal wieder mit dem Gedanken sein Unternehmen zu verkaufen und der Vorstellung, wie ein entspanntes sorgenfreies Leben nach einem Verkauf aussehen könnte. Meist bleibt es aber bei diesen Gedankenspielen – das Leben als erfolgreicher Unternehmer hat eben sehr viele positive Seiten. Akut wird eine solche Fragestellung meist dann, wenn ein Interessent auftaucht, um die Firma zu kaufen.
Dann ist ein Unternehmer wie Herr Gerber ad hoc mit der Entscheidung konfrontiert, in einen solchen Prozess einzusteigen oder abzusagen. Das Problem, das hier nun entsteht, holt uns später wieder ein – nämlich, dass in unserem Fall Herr Gerber noch kein klares Bild davon hat, wie er sich eine solche Transaktion vorstellt. Will er sich komplett zurückziehen oder noch weiterhin als dann angestellter Geschäftsführer für einige Jahre tätig sein? Als Senior Advisor in die EQUITUS wechseln – oder als Berater zur Verfügung stehen? Will er 100% der Anteile verkaufen oder über eine Kapitalerhöhung vielleicht erstmal frisches Kapital in die Gerber GmbH für die Internationalisierung holen und dann später seine restlichen Anteile verkaufen? Eine klare Vorstellung hierzu entsteht oft erst im Transaktionsprozess selbst – und dies ist der große Unterschied zum Käufer, der bereits vor der Ansprache eine klare Strategie und Vorstellung hat, wie eine für ihn optimale Konstellation nach der Transaktion aussieht.
In einer solchen Situation und vor einer Entscheidung sich auf einen möglichen Verkaufsprozess einzulassen, wäre es für Herrn Gerber, aber auch die EQIUTUS hilfreich, nochmal einen Schritt zurückzutreten und sich vier Fragen zu beantworten.
Ist es der richtige Zeitpunkt?
Muss Herr Gerber die Entscheidung über den Unternehmensverkauf wirklich jetzt treffen? Wird Herr Gerber von dem interessanten Angebot der EQUITUS in eine Entscheidungssituation getrieben, die er so noch gar nicht wollte? Oder kann eine solche Anfrage nicht auch für ihn ein Anlass sein, sich endlich einmal mit dem Thema Unternehmensnachfolge systematisch auseinander-zusetzen?
In diese Frage spielt auch mit hinein, ob es einen optimalen Zeitpunkt gibt, eine Firma zu verkaufen. So paradox es klingt – aber der beste Zeitpunkt ist oft derjenige, wo das Unternehmerleben am meisten Spaß macht. Alles läuft rund, das Unternehmen ist profitabel, mit guten Perspektiven und die Kunden und Mitarbeiter sind glücklich. Das sind interessanterweise auch diejenigen Zeiten, die sich besonders stark ins Gedächtnis eines Unternehmers einbrennen. So wie nur wenige einzelne Erinnerungen darüber entscheiden, wie wir unsere Kindheit rückschauend sehen, so werden auch die guten Zeiten des Unternehmerlebens rückwirkend verklärt. Das darf auch so sein – nur macht es dies schwieriger im Verkaufsprozess ein gemeinsames realistisches Bild des Unternehmens zwischen Verkäufer und Käufer zu finden. Und das hat weniger mit den Informationen zu tun, die aktuell verfügbar sind, sondern vielmehr mit der Wertung der Vergangenheit, die einem potenziellen Käufer ja völlig fehlt. Auch wenn z.B. das Unternehmen gerade wenig profitabel ist, kommen vom Unternehmer schnell Aussagen wie „in der Vergangenheit haben wir doch gezeigt, was man verdienen kann…“ – auch wenn sich die Rahmenbedingungen vielleicht völlig geändert haben. Die zeitliche Dimension einer Entscheidung zum Unternehmensverkauf hat also einige spannende Facetten.
Gibt es gute Gründe?
Gehen wir weiter von dem Fall aus, dass Herr Gerber von der EQUITUS angesprochen wird, die ein strategisches Interesse an der Übernahme hat. Dies ist für Herrn Gerber eine zunächst sehr bequeme Situation, die natürlich auch schmeichelt.
Für die EQUITUS ist die Entscheidungsgrundlage ein Angebot abzugeben eine strikt rationale Sicht auf Dinge. Hier zählen die Fakten, die strategische Logik einer Transaktion, die Unternehmensbewertung, die sich aus den Planzahlen für die nächsten Jahre ableiten lässt.
Herr Gerber hingegen fehlen viele dieser Informationen. Er weiß, dass die Gerber GmbH mit seinen Patenten, Kunden und qualifizierten Mitarbeitern eine wirkliche Perle ist, die für eine Reihe von Käufern interessant sein sollte. Aber wirklich tiefer auseinandergesetzt hat er sich damit bislang nicht.
Ganz anders liegt der Fall bei der EQUITUS. Hier wurden im Vorfeld Berater engagiert, die den weltweiten Markt nach interessanten Unternehmen absuchen sollen. Es wurden Profile der einzelnen Unternehmen erstellt und in einem sehr rationalen Prozess diejenigen Kandidaten analysiert, die angesprochen werden sollen. Parallel dazu wurden bereits Gespräche mit Banken für eine mögliche Finanzierung eines solchen Erwerbs geführt und Analysen über die mögliche Bewertung der Kandidaten angestoßen.
Die EQUITUS ist also auf einer kognitiv rationalen Ebene ganz anders auf eine solche Transaktion vorbereitet als Herr Gerber. Das Spannende an der Situation ist aber nun, dass professionelle Käufer alles vermeiden wollen, was nicht logisch ableitbare Informationen oder faktenbasiertes Wissen ist. In dem Moment, wo auf Ihrer Seite Bauchgefühl notwendig wird, werden sie nervös und fragen nach mehr und tieferen Analysen. Kommt Bauchgefühl ins Spiel, wird das als unprofessionell und irrational betrachtet. Ganz anders Herr Gerber – für ihn war sein Bauchgefühl immer ein guter Kompass. Und schon haben wir den ersten spannenden Punkt, warum Transaktionen oft scheitern.
Darüber hinaus wäre es für Herrn Gerber hilfreich zu wissen, ob es nicht auch andere spannende Interessenten gäbe, ob es vergleichbare Transaktionen in den letzten Jahren gab, ob es einen groben Marktwert für Unternehmen in dieser Branche gibt, der anwendbar wäre und wie es mit den übernommenen Unternehmen weitergegangen ist. Natürlich bräuchte man all diese Informationen nicht zwingend, wenn bei Herrn Gerber das Gefühl vorherrscht, fair behandelt zu werden und einen guten Partner gefunden zu haben. Aber dieses Gefühl hat keinerlei Faktenbasis und kann deshalb in schwierigen Verhandlungssituationen auch schnell kippen.
Zu einem Zeitpunkt, wo der Vertrag eigentlich endverhandelt wird, tauchen dann bei Herrn Gerber wie aus dem Nichts Fragen auf wie „vielleicht hätten wir ja doch mal schauen sollen, wer noch Interesse hätte“ oder „vielleicht hätten andere ja mehr geboten…“. Dies führt dann zu einer äußerst schwierigen Situation. Die juristischen Berater der EQUITUS glauben nur noch finale Editierungen am Kaufvertrag vorzunehmen und bei Herrn Gerber steigt plötzlich eine Angst auf, sich in einen Prozess hineinziehen zu lassen, ohne vorher sorgfältig alle Alternativen abgewägt zu haben. Die Sorge über den Tisch gezogen zu werden ist bei Herrn Gerber dominant – und die EQUITUS versteht die Welt nicht mehr, weil doch bislang alles genau nach dem vereinbarten Prozess abgelaufen ist.
Die Klarheit bei Herrn Gerber an wen er zu welchem Preis in welcher Struktur zu verkaufen bereit ist, bildet somit eine der entscheidenden Grundlagen.
Wenn die Meinungsbildung von Herrn Gerber zu diesen Themen erst im laufenden Prozess stattfindet, tauchen Themen auf, die logisch rational von der EQUITUS kaum gefasst werden können. Für sie läuft alles scheinbar nach Plan auf das Ziel der Unterzeichnung der Verträge hin – aber Herr Gerber schaut sich das ganz noch an.
Passt das Bauchgefühl?
Das wohl wichtigste und am wenigsten greifbare Element ist das berühmte unternehmerische Bauchgefühl. Jeder Unternehmer kennt es. Etwas fühlt sich nicht richtig an. Irgendwas stimmt nicht. Und man weiß nicht, warum. Und im umgekehrten Fall ist etwas völlig stimmig und eine Entscheidung so klar, dass man nicht mehr lange darüber nachdenken muss. Wo kommt das her?
Bauchgefühl ist geronnenes Erfahrungswissen. Im Laufe eines Unternehmerlebens wurde viele richtige und auch einige falsche Entscheidungen getroffen. Jede dieser Entscheidungen ist vielleicht nicht bewusst präsent – prägen aber etwas, was im Englischen auch Judgement genannt wird – das Gefühl für eine richtige Entscheidung. Um eine Situation schnell beurteilen zu können, müssen aber schon vergleichbare Situationen dagewesen sein, bei denen man sich als Unternehmer richtig – oder eben auch falsch entschieden hat. Je mehr Erfahrung vorhanden ist, desto sicher fühlt man sich mit einer Entscheidung aus dem Bauch heraus.
Das Problem für Herrn Gerber ist aber nun, dass er zu einem M&A‑Prozess keinerlei persönliches Erfahrungswissen hat. Die Gerber GmbH ist immer aus sich heraus gut gewachsen und andere Unternehmen zu kaufen erschien ihm immer zu riskant. Dann doch lieber das Geld dafür ins eigene Unternehmen investieren – das war immer seine Maxime. Er geht zwar davon aus, dass er seinem Bauchgefühl vertrauen kann, so wie immer in den letzten 30 Jahren – aber ohne Erfahrung einem solchen nun anstehenden Verkaufsprozess zeigt seine emotionale und körperliche Verfassung je nach Tagesform deutliche Unterschiede. Hoffnungen und Ängste schlagen ungefiltert durch. Die emotionale Verfassung wird zur Achterbahnfahrt. Hinzu kommen immer stärker körperliche Stress-Symptome. Er hat keine Routinen entwickelt, mit dieser Art von Situation umzugehen, weil er diesen Prozess zum ersten Mal durchlebt und damit auch durchleidet.
Der Schritt, das Lebenswerk abzugeben, geht daneben oft mit körperlichen Symptomen einher. Bei Herrn Gerber haben schon Krisen im Unternehmen für schlaflose Nächte und leichte Herzbeschwerden geführt. Das ganze Unternehmen zu verkaufen und das Leben neu zu sortieren verbunden mit der Angst vielleicht über den Tisch gezogen zu werden ist da sicher nochmal ein ganz anderes Kaliber von Stress. Die Aussage „wenn ich nur daran denke, kriege ich Bauchkrämpfe“ spricht hier Bände.
Kann ich danach noch in den Spiegel schauen?
Hat Herr Gerber das Gefühl noch in den Spiegel schauen zu können, nachdem er die Entscheidung zu verkaufen getroffen hat? In unserem Beispiel mit der EQUITUS ist es sicher die langfristige und internationale Perspektive für die Gerber GmbH und die Mitarbeiter, die ihm ein gutes Gefühl geben. Wenn es aber nur um Geld ginge, würde sicher im Laufe des Prozesses die Stimme der eigenen Werte immer lauter werden. Und möglicherweise zu einem Abbruch führen, wenn sich der Unternehmer nicht mit der langfristigen Strategie des Käufers identifizieren kann. Persönliche Werte lassen sich bei Unternehmern nur selten abkaufen.
Und zusätzlich kommt noch das eigene Selbstverständnis von Herrn Gerber. Welche Bilder und Vorstellungen entstehen, wenn er über seine neue Rolle nach dem erfolgten Verkauf nachdenkt, sieht er sich entspannt mit einem Drink auf dem Golfplatz, beim Urlaub mit der Familie, als gefragter Berater anderer Unternehmer, als Manager des eigenen Family-Office – oder hat ein Bild von sich als Tauben fütternder Rentner auf der Parkbank.
Fazit: Die Rationalität ist in der Transaktion nur die Spitze des Eisberges
Was wir immer wieder gesehen habe ist, dass der Betrachtungswinkel einer Transaktion sehr unterschiedlich ist. Während der die EQUITUS eher mit der Lupe im Bereich des kognitiv rationalen unterwegs ist, sieht der Herr Gerber eher mit dem Weitwinkel und allen Sinnen auf seine geschaffene Lebensleistung.
Diese Fragestellungen von Herrn Gerber ernst zu nehmen und mit Transparenz und Empathie zu begleiten, ist ein wichtiges Erfolgskriterium für erfolgreiche Transaktionen im eigentümergeführten Mittelstand. Emotionalität und unternehmerisches Bauchgefühl sind eben nicht Irrationalität oder Unprofessionalität.